Drohender ÄrztInnenmangel und Situation an der MUW

Für die kommenden Jahre wird ein ÄrztInnenmangel von 3000 bis 7000 Personen prognostiziert. Ursachen dafür wurden in einer gemeinsamen Studie des Bundesministeriums für Gesundheit, des Wissenschaftsministeriums und der Österr. Ärztekammer, unter der redaktionellen Leitung der Gesundheit Österreich GmbH eruiert: „Ärztinnen und Ärzte, Bedarf und Ausbildung 2010 bis 2030“ <1>. Organisatorische und strukturelle Veränderungen im österreichischen Gesundheitssystem könnten Abhilfe schaffen. Empfehlungen an die GesundheitspolitikerInnen befinden sich im Anhang der Studie.

Betriebsversammlung
Die ab 1. Januar 2014 vom Arbeitgeber, Rektor der Medizinischen Universität Wien (MedUni Wien), angeordneten Reduktionen der Nachtdiensträder und frühere Personalreduktionen waren Grund für eine Betriebsversammlung, deren Abhaltung in der Aula des Allgemeinen Krankenhauses (AKH) untersagt worden war. Am 21. Januar 2014 fand sie im öffentlichen Bereich mit ca. 300 TeilnehmerInnen auf der Straße statt.
In jeder Nacht arbeiten jetzt 11 ÄrztInnen weniger als bisher im AKH der Stadt Wien im Nachtdienst. Ein prominenter Sprecher bei einer früheren Betriebsversammlung, Schauspieler und Regisseur Otto Schenk, hat damals gemeint, er könne sich nicht aussuchen ob er in der Normalarbeitszeit der ÄrztInnen oder in der Nachtarbeitszeit krank würde. Er würde aber dann unabhängig von der Tageszeit gerne behandelt werden.

Hintergrund: AKH und MedUni Wien
Die ÄrztInnen im AKH sind Angestellte der MedUni. Die Finanzierung der ärztlichen Planstellen erfolgt aus dem Budget des Wissenschaftsministeriums. Die gesetzlich festgeschriebenen Aufgaben dieser ÄrztInnen bestehen in der PatientInnenversorgung, aber auch in Forschungs- und Lehrtätigkeit (=Ausbildung von Studierenden und von ÄrztInnen zu FachärztInnen). Alle diese Aufgaben hat der Arbeitgeber der Ärzteschaft sehr ernst genommen. Sie werden aus dem Wissenschaftsbudget finanziert, das jährlich im Parlament beschlossen und dem Wissenschaftsminister zugeteilt wird (die Pflegekräfte und anderes nichtärztliches AKH-Personal sind bei der Gemeinde Wien angestellt).
Das Wissenschaftsbudget hält aber nicht mit den Kosten der Universität und der PatientInnenversorgung Schritt. Der Rektor der MedUni versucht deshalb zu sparen. Personalreduktionen (Nichtnachbesetzungen) bzw. Reduktion von Nachtdiensträdern sind die Folge.

Folgen von Einsparungen für MitarbeiterInnen
Für die MitarbeiterInnen ergab sich daraus eine Arbeitsverdichtung mit wesentlichen Folgefaktoren: Studien der Ärztekammer zeigen, dass sich über 50% der ÄrztInnen in einer der Phasen von Burnout befinden (laut einer Studie der Sozialökonomischen Forschungsstelle, SFS, im Auftrag der Wr. und NÖ Arbeiterkammer et al., 2010, <2>, sind die emotionalen Erschöpfungszustände bei den nichtärztlichen Gesundheitsberufen auch zahlreich). Forschung wurde oft in die Freizeit verlegt, weil die reguläre Arbeitszeit fast komplett für die PatientInnenbetreuung aufgewendet werden musste. Die Work/Life-Balance war beeinträchtigt. Im Weiteren ist die Attraktivität des Berufes SpitalsärztIn gesunken. Es hat für viele MitarbeiterInnen den Anschein, der Arbeitgeber würde die erbrachten Leistungen nicht wertschätzen.

Betriebsvereinbarung, Auswirkung und Forderungen
Das Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetz (KA-AZG) lässt eine maximale Arbeitszeit von 72 Stunden pro Woche (!) zu – im Durchrechnungszeitraum bis zu 60 Stunden pro Woche. Betriebsvereinbarungen (BV) können diese Situation mildern. Das ist mit der letzten vom Arbeitgeber MedUni und dem Betriebsrat 2013 unterschriebenen Fassung auch nach komplizierten Verhandlungen und politischen Interventionen (ein Gesuch um Schlichtungsverfahren beim Sozialgericht wurde zurückgezogen) geschehen.
Auf der einen Seite gibt es die Arbeitsverdichtung im Nachtdienst, auf der anderen Seite besteht eine durch die BV erlangte Verbesserung für die MitarbeiterInnen. Diese besteht darin, dass man nach einem 25 Stunden dauernden Nachtdienst nicht mehr 7 weitere Stunden für den Routinespitalsbetrieb (Ambulanz- und Stationsbereich, Operationen etc.) zur Verfügung stehen muss, sondern in der Forschung weiterarbeiten oder Freizeit nehmen (sich ausschlafen) kann.
Diese ÄrztInnen fehlen aber nach ihrem Nachtdienst bei der PatientInnenbetreuung im Tages-Routinebetrieb. Die Überlastung der am Tag arbeitenden MitarbeiterInnen ist die Folge. Eine alternative Dienstform wie Schichtbetrieb ist mit Lehre und Forschung nicht vereinbar.
Einige AbteilungsleiterInnen wollen eine Rücknahme der BV, um wieder den alten Status herzustellen. Andere MitarbeiterInnen und der Betriebsrat bestehen stattdessen auf der Rücknahme 1. der Sparmaßnahmen, 2. der früheren Personalreduktionen und 3. der Reduktion der pro Nacht dienstleistenden Zahl der ÄrztInnen. Über 50% der JungärztInnen sind Frauen. Tendenz steigend. Die Vereinbarkeit von Karriere, Familie und Klinik wird zunehmend wichtiger.

Arbeitsinspektorat; Gefährdungsanzeige
In den vergangenen Jahren ist eine Anzeige des Arbeitsinspektors wegen dokumentierter Überschreitungen der Höchstarbeitszeitgrenzen in den Tageszeitungen kolportiert worden. Kurzfristig sind damals mehr ärztliche Stellen im AKH geschaffen und vom Ministerium bezahlt worden, worauf bald wieder Personalreduktionen folgten.
Im Oktober 2011 schrieben der Senat der MedUni Wien und der Betriebsrat einen offenen Brief an den damaligen Wissenschaftsminister Töchterle in dem die Übernahme der Verantwortung für die Folgen der Personalreduktion – Gefährdung der Sicherheit von PatientInnen – abgelehnt wurde. Der Wissenschaftsminister machte einen Vorgriff auf das Budget der nächsten Leistungsperiode und ermöglichte es so, die Anzahl der Nachtdiensträder bis 2013 beizubehalten. Das war allerdings keine nachhaltige Aktion. Daraus ergaben sich die derzeitig budgetnotwendigen Personal- und Nachtdienstreduktionen.

Was bedeutet diese Problematik für die PatientInnen?
Die Leistungsfähigkeit der im Spital beschäftigten Menschen kann nicht unlimitiert gesteigert werden. Die bedrohlichen Folgen von Einsparungen bestehen in Leistungsreduktionen bei der PatientInnenversorgung, d.h. es wird auf dem Rücken der PatientInnen „gespart“. Und es besteht die eminente Gefahr, dass der Pfad des bewährten Solidarischen Gesundheitssystems verlassen wird.

Resolution der Betriebsversammlung
In der Betriebsversammlung am 21. Januar 2014 wurde eine Resolution verabschiedet, die vom Rektor die Rücknahme der Personal- und Nachtdienstreduktionen im Sinne der PatientInnen und der MitarbeiterInnen fordert und in einem offenen Brief auch an die Direktion des AKH, an den neuen Wissenschaftsminister Mitterlehner, die Wiener Gesundheitsstadträtin Wehsely, den Vorsitzenden des Universitätsrates Busek und an den, die Aktion der MitarbeiterInnen unterstützenden, Wiener Ärztekammerpräsidenten Szekeres geschickt wurde.
In dem Brief wird beklagt, dass die Personal- und Nachtdienstreduktionen nicht das Ergebnis von Bedarfsplanungen seien, sondern rein buchhalterische Maßnahmen. Es sei nie gefragt oder überprüft worden, ob es zu Leistungsreduktionen für die PatientInnen kommen würde. Weiters wird aufgezeigt, dass eine schon 2011 begonnene Verhandlungsrunde zwischen Gemeinde Wien und Wissenschaftsministerium bezüglich einer gemeinsamen Betriebsführung des AKH noch immer keine Ergebnisse, auch keine Personal- oder Leistungsbedarfsplanung, erbracht hat. Trotzdem würden vom Arbeitgeber Personalressourcen unkontrolliert in Frage gestellt.

Lösungsansätze
Die Empfehlungen aus der eingangs erwähnten Studie, <1>, könnten, so sie von den für die Gesundheitspolitik Verantwortlichen ernst genommen würden, zu Problemlösungen nicht nur an AKH/MedUni, sondern in vielen Gesundheitsbereichen im Sinn der MitarbeiterInnen und PatientInnen führen, z.B.:
– Verbesserung der Kooperation zwischen „extramuraler“ Ordination und „intramuraler“ stationärer und ambulanter Spitalsbehandlung
– Untersuchung von Auswirkungen von Kooperationen mit allen Gesundheitsberufen
– Attraktivität der nichtärztlichen Gesundheitsberufe steigern
– Unterstützung des Pflegepersonals durch PflegehelferInnen
– integrierte Versorgung
– Paket zur Steigerung der Attraktivität ärztlicher Tätigkeiten
– alternsgerechte Arbeitszeitmodelle
– Work/Life-Balance Modelle entwickeln
– 24-Stunden Kinderbetreuungsplätze anbieten
– Reduktion administrativer und arztfremder Tätigkeit (StationssekretärInnen)
– familienfreundliche Arbeitsbedingungen
– vermehrt praktische Ausbildung an den Unis
– verkürzte Ausbildungszeiten für Facharztausbildungen
– Steuerung des Zustroms zu Spitalsambulanzen
– Zusammenschluss zu mono- und multidisziplinären Gruppenpraxen erleichtern.
Entsprechend dieser Empfehlung soll in der Stadt Enns (OÖ) noch dieses Jahr ein Pilotprojekt realisiert werden. Als Teil einer flächendeckenden außerhalb der Spitäler stattfindenden medizinischen Primärversorgung wird eine interdisziplinäre Gruppenpraxis errichtet werden, die 24h/Tag geöffnet ist.
Bund, Länder und Krankenkassen haben sich im Rahmen der Gesundheitsreform auf derartige Projekte geeinigt. Neben den primärversorgenden MitarbeiterInnen der Gesundheitsberufe sollen dort auch TherapeutInnen und SozialarbeiterInnen beschäftigt sein.
Erfolge dieses Pilotprojekts wären die jederzeit funktionierende lokale medizinische Erstversorgung der Bevölkerung und die Entlastung der MitarbeiterInnen in den Spitälern.

Mit verbesserten Arbeitsbedingungen zwischen dem und im intra- und extramuralen Bereich könnte die Attraktivität der Gesundheitsberufe gesteigert werden, die Burnout-Rate gesenkt und einem durch Abwanderung, Berufswechsel oder (auch frühzeitige) Pensionierung drohenden ÄrztInnenmangel entgegen gewirkt werden.

K. Heimberger

<1> Download Ärztebedarfsstudie:
http://www.goeg.at/cxdata/media/download/berichte/bedarfsstudie_2012.pdf

<2> E-Mail:
office@sfs-research.at

Ein Kommentar

  1. Sehr gut dargestellt. Die Wirtschaftskrise und Hypo dürfen nicht dazu führen, dass PatientInnen keine ordentliche Behandlung bekommen und die Leistungen am AKH dem größten Spital des Landes in der Qualität nachlassen. Auch ist es unzumutbar, dass das Personal so lange belastet wird bis irgendwann Fehler passieren. Der Wissenschaftsminister muss handeln! NK

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